Sandro, seit Jahren setzten sich DGB und Gewerkschaften dafür ein, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Thüringen ein Bildungsfreistellungsgesetz bekommen. Unter der neuen Landesregierung soll es nun endlich was werden. Glaubt Ihr da noch dran?
Wir sind zunächst mal optimistisch, dass im Moment mit mehr Ernsthaftigkeit an die Sache gegangen wird, als das vorher der Fall war. Die ehemalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht war nicht Willens oder vielleicht ja nicht in der Lage, den Kabinettsentwurf aus dem Bildungsministerium in ihren Reihen durchzusetzen, trotz mehrfacher Absichtserklärungen uns gegenüber. Die neue Landesregierung unter Führung von Bodo Ramelow hat sich die Bildungsfreistellung gleich für die ersten 100 Tage vorgenommen. Auch ist der Stil uns gegenüber ein anderer, wir werden bislang regelmäßig in den Erarbeitungsprozess des Gesetzes zur Bildungsfreistellung eingebunden. Das sind an der Stelle neue Beteiligungsformen, die auch Transparenz verschaffen. Das freut uns und wir hoffen, dass der Kurs Bestand hat, die Stimme der Arbeitnehmer nicht nur anzuhören, sondern auch ernst zu nehmen ist. Darüber hinaus erwarten wir aber, dass Rot-Rot-Grün liefert.
Wie soll ein Gesetz zur Bildungsfreistellung aus DGB-Sicht aussehen?
Wir erwarten, dass das Gesetz für alle Betriebe Gültigkeit bekommt. Eine Ungleichbehandlung würde zu Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern 1. und 2. Klasse führen. Eine fixe Betriebsgröße im Gesetz, unterhalb derer keine Bildungsfreistellung möglich sein soll, lehnen wir entschieden ab. Der DGB fordert auch für Auszubildende den gleichen zeitlichen Anspruch auf Bildungsfreistellung wie für alle anderen auch. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Auszubildende nicht die gleiche Möglichkeit zur gesellschaftspolitischen Bildung bekommen sollen. Diese wird im Rahmen der Ausbildung nicht abgedeckt. Mit drei Tagen für Azubis so wie jetzt vorgeschlagen, werden wir uns nicht zufrieden geben.
Weshalb ist die Bildungsfreistellung so wichtig?
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen die Möglichkeit haben, über den betrieblichen Tellerrand hinaus zu blicken. Und zwar im Rahmen einer Bildungsfreistellung. Die Geschütze, die von der Arbeitgeberseite dagegen aufgefahren werden, können nur bedeuten, dass sie sich nicht ernsthaft Gedanken über den Fachkräftemangel machen. Wer Fachkräfte in Thüringen will, muss ihnen gute Arbeitsbedingungen und eine gute Bezahlung bieten. Thüringens Unternehmen würden durch die Bildungsfreistellung nicht in den Ruin getrieben. Die GEW Thüringen hat vor zwei Jahren dargelegt, dass selbst bei Kleinstbetrieben die Arbeitsleistung, bezogen auf die Arbeitsstunden, um maximal 0,8 Prozent sinke. Bei Betrieben mit 50 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind es schon nur noch 0,03 Prozent. So viel Widerstand ist unserer Ansicht nach ideologisch motiviert und schadet sowohl den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den Unternehmen selbst. Die selbsternannten Arbeitgebertreter IHK und HWK müssen wir leider auch im Jahr 2015 daran erinnern, dass sie kein politischer Akteur im Bildungsbereich sind. Das werden wir über die Gremien deutlich machen.