adam-winger-Xt4g9VbMljE-unsplash
Demografischer Wandel, Digitalisierung und Umbau der Wirtschaft lassen das Thema der Fachkräftesicherung in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst weit oben auf die politische Agenda rücken. Um Personallücken zu füllen, fordern Arbeitgeber*innen u.a. eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der maximal zulässigen täglichen Arbeitszeit sowie der Ruhezeiten – obgleich Studien vor den negativen Auswirkungen überlanger Arbeitszeiten auf die Gesundheit der Beschäftigten warnen. In der gesamten Diskussion kommt die Partizipation von Frauen am Arbeitsmarkt in der Regel zu kurz, obwohl hier das größte und somit wichtigste Beschäftigungspotenzial zur Fachkräftesicherung liegt – zumal Frauen heute besser ausgebildet sind als je zuvor.
Nach wie vor ist die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt noch nicht erreicht. Sie haben schlechtere Ausbildungs-, Beschäftigungs-, Verdienst- und Aufstiegschancen und sind in der Folge stärker von Altersarmut betroffen. Gründe hierfür sind vor allem die ungleiche Aufteilung von unbezahlter Haus- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern, die Spaltung des Arbeitsmarktes in frauen- und männerdominierte Tätigkeiten, prekäre Arbeitsbedingungen in weiblich geprägten Berufsfeldern sowie Diskriminierung und Sexismus am Arbeitsplatz. In der Konsequenz arbeiten Frauen häufiger in (unfreiwilliger) Teilzeit oder geringfügiger Beschäftigung und sind von längeren Phasen der Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. Obwohl sich viele Frauen eine Ausweitung ihrer tatsächlichen Erwerbsarbeitszeiten wünschen, sind dafür die Hürden in der Realität oftmals zu hoch, auch weil die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht gegeben sind.
Um das Beschäftigungspotenzial von Frauen zu aktivieren und echte Gleichstellung am Arbeitsmarkt herzustellen, ihre eigenständige Existenzsicherung zu stärken und mehr Frauen in Führung zu bringen, müssen Geschlechterungleichheiten in der Arbeits- und Lebenswelt überwunden werden. Es gilt, die zentralen Hemmnisse für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben abzubauen – für eine zukunftssichere, nachhaltige und geschlechtergerechte Arbeitswelt. Denn eines steht fest: Fachkräftesicherung und prekäre Arbeit passen nicht zusammen. Ohne gute Arbeitsbedingungen, faire Entlohnung in allen, auch den frauendominierten Branchen, diskriminierungsfreie Steuersysteme und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ab der ersten Arbeitsstunde wird der Fachkräftemangel nicht zu beheben sein.
Nicht die Ausweitung und Entgrenzung von Arbeitszeiten, sondern ein größeres Maß an Mitsprache der Beschäftigten bei der Ausgestaltung ihrer Arbeitszeit ist notwendig, um die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu erhöhen und Mitarbeiter*innen mit Familienverantwortung für den Betrieb zu gewinnen bzw. dort zu halten. Dafür bedarf es eines Rechtsanspruchs der Beschäftigten auf die Gestaltung von Arbeitszeitarrangements hinsichtlich Dauer, Lage und Rhythmus der vertraglichen Arbeitszeit sowie auf die Wahl des Arbeitsortes. Damit für Frauen nach der Geburt eines Kindes die Teilzeitfalle nicht zuschnappt, muss der Anwendungsbereich der Brückenteilzeit ausgeweitet werden. Die relativ große Gruppe weiblicher Beschäftigter in kleinen und sehr kleinen Betrieben darf nicht länger vom Recht auf befristete Teilzeit ausgeschlossen sein, weil diese Frauen die Möglichkeit der befristeten Teilzeit am dringendsten benötigen. Unternehmen müssen zudem verpflichtet werden, die arbeitszeitbezogenen Bedürfnisse ihrer Beschäftigten zu erheben und im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben betriebliche Arbeitszeitkonzepte zu entwickeln, die an tarifliche Regelungen anknüpfen. Dass sich in der Regel vollzeitbeschäftigte Männer kürzere, teilzeitbeschäftigte Frauen längere Arbeitszeiten wünschen, unterstreicht: Kürzere Arbeitszeiten und die Umverteilung unbezahlter Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern gehören auf die politische Agenda!
Frauen leisten nach wie vor den größten Teil der Kinderbetreuung, der Pflege und der Hausarbeit, wodurch ihre Erwerbstätigkeit und ihre Verdienstmöglichkeiten im Lebenslauf entscheidend gehemmt werden. Die gesellschaftliche Umverteilung von unbezahlter Sorge- und Hausarbeit ist eine zentrale Stellschraube für die stärkere Arbeitsmarktpartizipation von Frauen. Männer müssen in ihrer Verantwortung für die Übernahme von Sorgetätigkeiten gestärkt und die partnerschaftliche Aufteilung von Sorgearbeit muss gefördert werden. Um Sorgearbeit auch in männlichen Erwerbsverläufen zu etablieren, sollten eine zehntägige, bezahlte Vaterschaftsfreistellung rund um die Geburt eines Kindes eingeführt und das Elterngeld u.a. durch eine Erhöhung der Partnermonate weiterentwickelt werden – denn die Einbindung von Vätern in die frühe Familienphase stärkt nachweislich die partnerschaftliche Aufteilung unbezahlter Sorgearbeit. Auch die Kultur in den Betrieben muss sich ändern: Karrierehemmnisse für Menschen, die Elternzeit in Anspruch nehmen, müssen abgebaut werden.
Unverzichtbar für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist der bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Ausbau der Ganztagsbetreuung für Kinder bis zum 14. Lebensjahr. Auch Erwerbstätige mit Pflegeverantwortung müssen stärker unterstützt und Anreize für eine geschlechtergerechte Inanspruchnahme von Pflegezeiten gesetzt werden. Maßgeblich sind der Ausbau bedarfsgerechter und professioneller Unterstützungs- und Entlastungsangebote und die Einführung einer Entgeltersatzleistung für Pflegende, die ihre Erwerbstätigkeit kurzfristig unterbrechen oder längerfristig reduzieren müssen.
Spätestens seit der Corona-Pandemie sind die Missstände in weiblich dominierten Berufsfeldern wie Pflege, Bildung, Erziehung und soziale Arbeit nicht länger zu ignorieren: Hohe Arbeitsbelastung und erhebliche Gesundheitsrisiken treffen auf geringe finanzielle und gesellschaftliche Wertschätzung. Die Berufsverweildauern sind entsprechend niedrig und Teilzeitarbeit ist nicht zuletzt aufgrund der extremen Arbeitsbelastung weit verbreitet. Um dem chronischen Fachkräftemangel in diesen Branchen entgegenzuwirken und gut ausgebildete Arbeitskräfte (zurück)zugewinnen, müssen frauendominierte Berufe aufgewertet werden – durch höhere Entgelte bereits in der Ausbildung, bessere Weiterbildungs- und Aufstiegsperspektiven, Flächentarifverträge, Entlastung der Beschäftigten und Sicherstellung der Arbeitsqualität durch angemessene Personalbemessungen.
In tarifgebundenen Unternehmen sind die Gehälter höher, Zusatzleistungen (z.B. Weihnachts- und Urlaubsgeld) oft Standard und die Arbeitszeiten kürzer. Vor dem Hintergrund der sinkenden Tarifbindung ist im Zuge der Fachkräftegewinnung deshalb eine Trendumkehr bei der Tarifbindung notwendig, mit dem Ziel einer flächendeckenden Anwendung von Tarifverträgen und höheren Entgelten für Frauen. Zudem muss die betriebliche Mitbestimmung gestärkt werden, um die Arbeitswelt von morgen aktiv zu gestalten und die Teilhabe von Frauen zu erhöhen. Hierfür bedarf es einer umfassenden Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, mit der auch die Gleichstellung der Geschlechter vorangetrieben wird: Neben dem Betriebsrat sollten Frauen auch im Betriebs- und Entgeltausschuss mindestens entsprechend ihrem Anteil an den Beschäftigten vertreten und die Bildung von Gleichstellungsausschüssen weitgehend verpflichtend sein. Zudem ist § 43 Abs. 2 BetrVG so zu erweitern, dass der Bericht des Arbeitgebers bzw. der Arbeitgeberin zum Stand der Gleichstellung von Männern und Frauen auch die Entgeltgleichheit sowie die Ergebnisse des betrieblichen Prüfverfahrens nach §§ 17 Abs. 1 und 21 Abs. 1 Entgelttransparenzgesetz umfasst. Gerade mit Blick auf die Fachkräftegewinnung ist es unabdingbar, betriebliche Entgeltgleichheit und Gleichstellung genauso wie andere Themen der Nachhaltigkeit als Bestandteil moderner Unternehmensführung zu begreifen.
Minijobs stellen eine besonders prekäre Form (weiblicher) Teilzeitbeschäftigung dar. Zudem ist eine Brückenfunktion hin zur sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht zu erkennen: Sind Frauen erstmal in einem Minijob, kleben sie regelrecht darin fest – oft gegen ihre Wünsche und ursprünglichen Pläne. Auch im Sinne der Fachkräftesicherung ist es deshalb höchste Zeit, die geringfügige Beschäftigung ab der ersten Arbeitsstunde sozial abzusichern.
Das Ehegattensplitting behindert die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Erwerbsleben und die partnerschaftliche Verteilung von Familienarbeit: Es schafft Anreize für ein asymmetrisches Modell, in dem der Mann Allein- oder Hauptverdiener ist und die Frau allenfalls hinzuverdient. Vor allem die Steuerklasse V mit ihrer übermäßig hohen Steuerbelastung für die weniger verdienende Person in der Ehe, meist die Frau, macht reguläre Beschäftigung unattraktiv und treibt Frauen in Minijobs. Die hohen Abzüge wirken sich außerdem bei der Berechnung von staatlichen Transferleistungen nachteilig aus. Sowohl im Sinne der eigenständigen Existenzsicherung von Frauen als auch angesichts des erklärten Ziels der Fachkräftesicherung sollte deshalb die Steuerklassenkombination III/V abgeschafft und durch die Steuerklassenkombination IV/IV, ergänzt um das Faktorverfahren, ersetzt werden. Längerfristig ist das Ehegattensplitting durch eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Grundfreibetrag zu ersetzen.
Ein wichtiger Baustein zur Umverteilung von Sorge- und Erwerbsarbeit und damit zur Aktivierung weiblicher Arbeitskräfte sind haushaltsnahe und personenbezogene Dienstleistungen. Familien brauchen Angebote, um haushaltsnahe und personenbezogene Dienstleistungen bedarfsnah, unbürokratisch und legal in Anspruch nehmen und bezahlen zu können. Dem steigenden Bedarf an Dienstleistungen müssen praxistaugliche, bezahlbare Angebote gegenüberstehen, die durch sozialversicherungspflichtig Beschäftigte erbracht werden. Dies ist nur durch die öffentliche Förderung haushaltsnaher Dienstleistungen zu erreichen, vor allem durch eine Bündelung des Angebots mittels Agenturen (Gutscheinsystem).
Aktuelle Befunde zeigen, dass der Fachkräftemangel in Berufen mit ungleichen Geschlechterverhältnissen wie soziale Arbeit, Erziehung, Pflege, Handwerk und IT besonders ausgeprägt ist[1]. Um die Spaltung des Arbeitsmarktes in frauen- und männerdominierte Berufe zu überwinden, müssen Geschlechterrollenzuschreibungen bereits in der Kita- und Schulzeit hinterfragt und eine geschlechtersensible Berufsorientierung etabliert werden. Das bedeutet
einerseits, das MINT-Interesse von Mädchen und jungen Frauen in der schulischen Ausbildung zu stärken und durch gezielte Ansprache junge Frauen für zukunftsträchtige MINT-Berufe im dualen Ausbildungssystem und im akademischen Bereich zu gewinnen. Andererseits müssen auch Jungen und junge Männer in ihrer individuellen Lebensplanung fernab von Geschlechterstereotypen unterstützt und in ihrem Interesse für weiblich dominierte Fürsorgeberufe gefördert werden.
[1] Hickmann, Helen / Koneberg, Filiz, 2022. Die Berufe mit den aktuell größten Fachkräftelücken, IWKurzbericht, Nr. 67, Köln
Der digitale Wandel ist in vollem Gange, die Kohlenstoffreduktion in der Wirtschaft nimmt an Fahrt auf. Diese Entwicklungen werden die Arbeitswelt entscheidend verändern. Um Hemmnisse für die Gleichstellung der Geschlechter in einer digitalisierten und nachhaltigen Arbeitswelt abzubauen, muss die gleichberechtigte Teilhabe an Nutzung und Gestaltung aller Technologien sicherstellt werden. Technologische Kompetenzen müssen geschlechtergerecht vermittelt werden, sowohl in der Schule als auch im Betrieb. Zudem gilt es, geschlechtersensible Maßnahmenpläne zur Umqualifizierung, Fort- und Weiterbildung zu entwickeln und Anreize für Frauenquoten bei der Vergabe von Weiterbildungen zu setzen. Denn eine geschlechtersensible berufliche Weiterbildung erhöht nicht nur die zukünftigen Integrationschancen von Frauen in den Arbeitsmarkt, sondern hat auch eine immens hohe Bedeutung für die Fachkräftesicherung.
Eine geschlechterstereotype Arbeitsvermittlung und die Zuweisung von Zuverdienst-Beschäftigungen an Frauen verhindern nach wie vor die gleichberechtigte Arbeitsmarktpartizipation von Frauen nach Phasen der Erwerbslosigkeit. Umso wichtiger ist es, die aktive Arbeitsmarktpolitik und ihre Instrumente geschlechtergerecht zu gestalten und Frauen verstärkt in qualitativ hochwertige arbeitsmarktpolitische Maßnahmen einzubeziehen. Frauen aller Qualifikationsniveaus sind nach dem Grundsatz der ökonomischen und sozialen Eigenständigkeit als Zielgruppe am Arbeitsmarkt zu fördern und die Hindernisse für eine vollzeitnahe Beschäftigung abzubauen. So können Instrumente der aktiven Arbeitspolitik auch für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen sorgen.
Sexismus und geschlechtsspezifische Gewalt am Arbeitsplatz stellen insbesondere für Frauen nach wie vor ein großes Problem dar – mit weitreichenden Folgen für die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Betroffenen. Daher müssen auf betrieblicher und behördlicher Ebene alle gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden, um Menschen vor sexueller Belästigung jeglicher Art zu schützen und abwertendes Verhalten zu verhindern – als Voraussetzung für ein diskriminierungsfreies Miteinander. Die Prävention von Gewalt und sexueller Belästigung müssen stärker als Thema in den Arbeits- und Gesundheitsschutz integriert werden, indem das Arbeitsschutzgesetz ergänzt und Arbeitgeber*innen verpflichtet werden, für ein gewalt- und belästigungsfreies Arbeitsumfeld zu sorgen. Darüber hinaus muss die ILO Konvention 190 endlich auch in Deutschland ratifiziert und umgesetzt werden.
Gesetzgebung und -umsetzung müssen die Rahmenbedingungen für die Gleichstellung von Frauen am Arbeitsmarkt und im Privatleben schaffen, orientieren sich jedoch nach wie vor an der Lebenswelt von Männern. Daher ist es höchste Zeit, mit Hilfe eines Checkverfahrens Regelungsvorhaben des Bundes unter gleichstellungspolitischen Aspekten zu überprüfen. Eine solche Überprüfung ist Voraussetzung dafür, Benachteiligungen von Frauen offenzulegen und wirkungsvoll gegenzusteuern. Für jedes Vorhaben muss geklärt werden, wie es sich auf die Lebenssituation von Frauen und Männern auswirkt und ob es einen Beitrag zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen in den verschiedenen politischen Handlungsfeldern leistet!